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Falsche Antwort
Immer wieder erlebt man doch diese wirklich unschönen Momente, in denen andere Menschen sich einfach nicht an das eigene - zuvor gedanklich erschaffene - Script halten und anders antworten, als erwartet.
Da wäre zum Beispiel die gestrige Situation beim Physiotherapeuten meines Vertrauens.
Ich liege also mit schmerzverzerrtem Gesicht auf so einer Pritsche und lasse mich an äußerst schmerzhaften Stellen derart bedrücken, dass ich kaum sprechen kann.
Schweigen ist ja - für mich jetzt - in den seltensten Fällen eine akzeptable Alternative - also presse ich zwischen meinen zusammengespressten Zähnen hervor:
"Meine Schulter ist wohl total hinüber, was?"
Wie in meinem Gedankenscript vorgesehen und somit erwartet, wird mir brav mit "Ja, kann man so sagen!" geantwortet.
Schon sitz ich in der Falle und gehe davon aus, wir spielen mein Script nun weiter durch.
Als ich mich ächzend zur Seite drehe, um wieder an die Stromprömmel geklemmt zu werden, frage ich deshalb einfach mal direkt nach:
"Würde es meiner Schulter heute besser gehen, wenn ich in den letzten 20 Jahren Sport getrieben hätte?"
So. Es liegt doch auf der Hand, dass ich hier ein klares und signifikantes "Nein!" hätte hören wollen.
So sah es mein Script vor, ich hätte mich entspannt und ohne Gewissensbisse bestromen lassen können und wäre glücklich gewesen.
Nun ist der Physiotherapeut meines Vertrauens ja ein Mann.
Vielleicht verstehen Männer einfach diese Frauenscripte nicht - oder wollen sie nicht verstehen.
Oder aber, besagter gestriger Mensch dachte, er wird von der Krankenkasse auch für Ehrlichkeit bezahlt - was für ein Unsinn!
Es kam, wie es nie hätte kommen sollen und seine Antwort lautete:
"Ja, mit regelmäßigem Sport hätte man das Ausmaß minimieren können bzw. wäre die Schulter heute noch taufrisch und in Ordnung!"
Totalabweichung vom Script. Unabgesprochen. Geht gar nicht.
Auf meine entnervte Antwort:
"Na, toll!"
versucht der Gute noch schnell die Kurve zu kriegen und beschwichtigt mit:
"Aber das kriegen wir wieder hin! Ich weiß auch schon wie!"
Ja, da bitte ich doch drum. Es hätte mich auch arg irritiert, wenn dem nicht so wäre.
Bliebe die Sache mit dem Sport.
So stand das nicht im Script und so ist das ja auch nicht hinnehmbar.
Praktisch führt einen diese schonungslose Ehrlichkeit ja in eine teifergehende Schulterdepression. DAS hätte doch ein guter Physiotherapeut erahnen müssen.
So. Jetzt steh ich da und bin selbst Schuld.
An der Schultersache jetzt zumindest.
Jetzt kann ich bei dem Stromimpulsen nicht entspannen, weil ich ja damit beschäftigt bin, mir Vorwürfe zu machen.
Andererseits war ich in meiner Jugend sportlich aktiv.
Ich meine ja, das kann man mitzählen.
Sozusagen stimmt es dann ja gar nicht, dass ich nie gesportelt habe.
Sicher, das mit den 20 Jahren ist jetzt so ein Problem, die Jugend liegt doch ein wenig weiter zurück, aber man muss ja auch nicht so pingelig sein.
Immerhin habe ich irgendwann einmal Sport getrieben und ich kann schließlich nichts dafür, dass meine Schulter sich nicht daran erinnert.
Ist ja ihr Problem.
Mann, hätte der Mensch nicht einfach meinem Script folgen können, dann müsste ich jetzt nicht hier liegen und mir meine Schuldgefühle wegdebattieren.
Außerdem, was soll das bedeuten, die Schulter wäre gesund, bei regelmäßigem Sport. Weiß ich, ob ich dann vielleicht Knie oder Hüfte oder Brüche, Bänderdehnungen, Bänderrisse, Platzwunden (okay, käme jetzt auf die Sportart an) oder Haarausfall bekommen hätte?
Ich werde mein Script mal modifizieren und beim nächsten Termin einen anderen Ansatz wagen.
Irgendwie krieg ich den Menschen noch dahin, mir zuzugestehen, dass Sport doch nicht das Wahre ist.
Also für mich jetzt.
Sehr lustiger unterhaltsamer Dialog. Frechheit, dass dein Physiotherapeut nicht deinem Skript gefolgt ist ;-)
Ich darf morgen wieder, Schulter und Nacken, und meiner hat auch immer wieder neue Botschaften für mich. Ich sollte ihm vielleicht auch mal mein Script geben.
LG Kerki
vom 11.01.2015, 21.22