Mein phlegmatisches Ich hadert mit meinem kontrollierten Ich,
das bereits vor dem Urlaub - am heimischen Rechner - eine Bootstour gebucht hat,
die nun gleich ansteht.
Als wüsste ich zehn Tage vor dem Urlaub, was ich just am heutigen Tage gerne
täte.
Ich bin unlustig und knatschig, führe wenig zielführende Selbstgespräche aus denen mein
kontrolliertes Ich - wenn man es so sagen mag - als Siegerin hervorgeht und ich mache mich
auf dem Weg zu dem winzig kleinen Hafen vor der historischen Altstadt.
Gänzlich ahnungslos vor dem, was kommen wird, setze ich mich mit einem jungen, deutschen Paar, einem französischen Pärchen, einem italienischen Sohn mit seiner betagten Mutter und dem Bootsführer in ein elegantes, kleines Boot.
Wir umrunden zunächst die kleine Halbinsel, fahren dann auf den See hinaus, der wirklich eine immense Größe hat.
Es wird Prosecco gereicht und kleine, leckere Häppchen, wer mag darf unterwegs schwimmen gehen und irgendwann legen wir am anderen Ufer an und haben eine Stunde "Landgang".
Ich bin irritiert, weil ich erstens nicht weiß, in welcher Stadt ich mich befinde und zweitens nichtmal wusste, dass wir irgendwo an Land gehen würde.
Relativ schnell suche ich mir die wirklich relevanten Informationen zusammen: Ich bin in Garda und Hunde dürfen nur an der Leine geführt werden.
Garda ist vor allem eins: SCHICK.
Die Läden, die sich an der Promenade aneinanderreihen, entsprechen nicht meinem Budget und davon mal ganz abgesehen, auch nicht meinem Geschmack.
Ich spaziere also einfach so vor mich hin, beobachte das Wetterschauspiel und die Menschen - es gibt einfach diese Menschen, die irgendwie reich aussehen - und beschließe letztlich einen Eisbecher in einer der vielen, wunderschön gelegenen Eisdielen zu genießen.
Natürlich ist es ein bombastischer Eisbecher, einer dieser Eisbecher, von denen man meint, man schaffe ihn niemals, mit herüberquellender Sahne, Amaretto und diversen gebackenen Eisverzierungen. Ich finde das grandios und verliere mich in dem Eisbecher, schaue auf die Menschen um mich herum und genieße den Augenblick.
Zurück auf dem Boot schauen wir alle immer wieder zum zunehmend düster werdenden Himmel. Die Wolken schieben sich, dunkel, satt und unheilverkündend immer näher in unsere Richtung und der Bootsführer wird ganz offensichtlich immer nervöser. Er telefoniert hektisch und sehr italienisch und zurrt hier eine Leine fest und dort eine Überdachung.
Es wird ein wenig stürmisch, das Boot schaukelt - was an sich ja die natürliche Beweglichkeit des Bootes ist - und dem deutschen jungen Mann wird sehr übel.
Er weiß noch nicht, wie übel ihm noch werden wird.
Wir düsen los. Und wenn ich düsen schreibe, dann meine ich genau das. In einem - für mich gefühlt - irren Tempo rasen wir über den See, mitten hinein in die dunklen, trüben Wolken.
Ich finde das unbeschreiblich toll und berauschend - wobei ich als einzige so empfinde und die anderen sich an der Reling festkrallen, bemüht freundlich lächelnd.
Außer dem jungen Mann, dem ist das Lächeln schon lange vergangen und es bedarf keiner weiteren Ausführungen, dieser für alle Betiligten - jedoch besonders für ihn - im wahrsten Sinne des Wortes üblen Situation.
Der Bootsmann, ich hoffe, das ist keine unangemessene Bezeichnung, macht laut Musik an und nach "Daddy Cool" und "Dancing Queen" tönen weitere 70er Jahre Songs aus der Anlage.
Ich hänge auf meiner Sitzbank und genieße diese Fahrt in vollen Zügen. Wir rasen praktisch unter dem Gewitter hindurch. Rechts und links spritzt das Seewasser geischend empor, die Berge im Hintergrund sind verhangen und sehen aus, wie auf einem alten Ölgemälde.
Mein phlegmatisches ICH ist verschwunden, aber auch mein kontrolliertes Ich hat sich davon gemacht.
Ich singe laut mit, bekommt aufgrund der ohrenbetäubenden Gischt eh niemand mit - und fühle mich großartig, bin froh, diese Fahrt mitgemacht zu haben.
Besonders froh bin ich auch ob des fetten Eisbechers in meinem Magen.
Wer kann schon sagen, als letzte Mahlzeit einen exorbitanten Amarettobecher verspeist zu haben?
Mein Magen jedenfalls beklagt sich nicht, anders als bei erwähntem jungen Mann und ich fühle mich lebendig und auf eine gewisse Art auch frei.
Die andere Seeseite empfängt uns eine Stunde später mit schüchternem Sonnenschein.
Ich hüpfe von Bord und habe einmal mehr gelernt, sich auf Dinge einzulassen, auch wenn vielleicht die Lust eher mau ist, kann großartig werden und sein.
hihi
ein toller Bericht
ich hätte mich schon gar nicht auf das Boot getraut
ich weiß was es heißt seekrank zu sein ;)
liebe Grüße
Rosi
vom 02.11.2021, 22.39