Strubbelig und im selben Maße hungrig mache ich mich auf den Weg und
kehre in eine nahegelegen, winzig kleine Pizzeria ein.
Ich wähle dieses Restaurant nicht wegen der Karte oder Preise,
nicht wegen der blumig bunten Tischdecken, die nur im Urlaub entzückend aussehen.
Mich fasziniert die Lebensfreude der Kellnerin, die singt und tanzt und eine
immense Lebenslust ausstrahlt.
Sie spricht niemanden an, bittet niemanden in das Lokal, preist auch nicht die Speisen an.
Sie tanzt selbstvergessen zu einem Popsong, versucht mitzusingen und strahlt all das aus, was
ich fühle, aber nicht zeigen kann.
Während des Essens, das hervorragend ist, fällt mir auf, wie oft ich andere Menschen um ihre Gaben, ihre Talente,
ihre Ausstrahlung oder ihr Aussehen beneide.
Ich hätte gerne so eine absolut mitreißende Ausstrahlung wie diese Kellnerin, die dazu noch sehr freundlich und aufmerksam ist.
Ich
beneide auch Elizabeth Gilbert, deren grandios Buch "Eat, pray, love"
ich gerade hier - natürlich hier - wieder einmal lese, darum, wie
sich ausdrücken kann, wie unglaublich wunderbar sie schreiben und beschreiben kann.
Ich wäre gern so, wie meine beste Freundin, die extrovertiert ist, auf Menschen zugehen kann, sich auf jeden schnell einlassen kann und der Mittelpunkt jedes Raumes ist.
Ich möchte gerne sportlich sein, setze aber keinerlei Hebel in Bewegung, um diesen Wunsch näher zu kommen.
Ich hätte gerne Charisma, wäre gerne schlank und wünsche mir oft die Talenter anderer Menschen.
Ich lebe defizitorientiert. Die Erkenntnis erschüttert mich. Das, was in der Schule, im beruflichen Umfeld mein Motto ist, eben nicht defizitorientiert, sondern stärkenorientiert auf das einzelne Kind zu schauen, genau dies mache ich bei mir nicht.
Ich schaue auf das, was ich alles nicht kann, aber nicht auf das, was ich kann und bewirke.
Während ich all die Menschen um mich herum beobachte, stelle ich mir die Aufgabe, für jeden Moment, an dem ich bei einem anderen Menschen etwas faszinierend finde, etwas an mir zu suchen, das eine Stärke ist, das eine Fähigkeit ist, das ein Talent sein könnte.
Natürlich schweifen meine Gedanken ab und ich stelle mir vielmehr vor, wie ein Gespräch zwischen Freundinnen und mir diesbezüglich ablaufen würde.
Ich weiß sehr genau, wer von meinen Freundinnen mir genau was dazu sagen würde und sie fehlen mir.
Sie fehlen mir, so wie mir das gemeinsame Lachen fehlt.
Ich handle mit mir aus, das Thema auf später, auf nach den Urlaub, auf einen Freundinnenabend zu verschieben und lasse meine Gedanken weiter schweifen.
Über dem See geht die Sonne langsam unter, die Musik in der kleinen Gasse wird lauter, die Gespräche der anderen Gäste umgestümer und fröhlicher.
Ich mag es, dass dieser Urlaub mich ein Stück weit näher an mich heranbringt, aber ich werde mit sehr viel mehr Gedankengepäck nach Hause kommen, als ich losgefahren bin.
Und mit sehr vielen neuen Erkenntnissen.
Ich genieße mein Essen und das Leben neben, vor und hinter mir schwappt um mich herum, wie neulich noch die Wellen des Mittelmeeres. Ich mag dieses Auf und Ab, dieses Hin und Her, das meine Gedanken zu und von mir weg treiben lässt.
Es ist wie eine seichte Berieselung, die mich entspannen lässt.
Als ich später ins Bett falle, treiben mich keine Gedanken mehr um, ich schlafe sofort ein und werde erst früh am nächsten Morgen wieder wach.