Es ist Samstag.
Ich habe wunderbar geschlafen in meinem kleinen Zimmer, in einer engen Gasse unmittelbar am See.
Nach meiner Ankunft in diesem zauberhaften kleinen Ort bin ich ziellos durch die Gassen gestreift und habe diese einzigartige Kaskade an Gerüchen, das Sprachgetümmel um mich herum und die vielen kleinen, beseelenden Ausblicke in mich aufgesogen.
Ich habe hier und dort gesessen und einfach nur geschaut, beobachtet, gelauscht und genossen.
Ich fühlte mich ein wenig befangen darin, allein unterwegs zu sein und hatte das Bedürfnis andere Alleinreisende zu entdecken, die mir - ja was genau? - das Gefühl einer gewissen Normalität geben sollten.
Hier sind viele Menschen unterwegs, viele Nationalitäten, alle Altersklassen, Paare und kleine Familien. Ich konnte niemanden entdecken, der wie ich allein unterwegs war.
Es wird also Zeit, mir eine eigene Normalität zu schaffen.
Ich wache früh auf, ganz meinem ureigenenen Tagesrhythmus entsprechend. Am Abend vorher hatte ich mir ausgemalt, frühmorgens durch die noch leeren kleinen Gassen zu spazieren und die Ruhe des eigentlich lebhaften Ortes zu genießen.
Nun genieße ich es, einfach liegenzubleiben und zu lesen, die Gedanken schweifen zu lassen, mich dem Müßiggang hinzugeben.
Das Gefühl, sich das irgendwie verdient zu haben, schleicht sich bei mir ein und es schaudert mich ein wenig, dass ich mich dabei erwische, Rechtfertigungen für mich selbst zu suchen und zu finden.
Ein wenig später bin ich die erste im Frühstücksraum, finde mich wieder auf einem Platz mit einem herrlichen Blick auf den See und frage mich, was ich nun mit all meiner Alleinzeit eigentlich anfangen soll?
Für mittags habe ich eine kleine Bootstour gebucht, aber bis dahin ist noch reichlich Zeit und ich beschließe, diese lesend auf der in den See hineinragenden Terrasse zu verbringen.
Eine entzückende, kleine Möwe gesellt sich zu mir und ich, die ich eigentlich nicht an so etwas glaube, sitze da, Aug in Aug mit dieser Möwe und empfinde sie als ein Zeichen.
Sind es doch oft diese wirklich kleinen Momente und Ausblicke, die uns Auftrieb geben und Spuren in unseren Herzen hinterlassen.
Ich weiß, dass ich sie zu oft übersehe. Nicht die Möwe hier, die mich anstarrt und vermutlich ihren außerordentlichen Möwengedanken nachgeht.
Nicht hier, aber im Alltagstrubel. Im hektischen Geschehen, im Umtrieb und in all den Entscheidungsgewalten.
Ich nehme sie mit, die Möwe, in meinem Herzen und werde versuchen, immer dann an sie zu denken, wenn ich wieder Gefahr laufe den Blick für das Kleine zu verlieren.
Ich lese und liege da und liege da und lese.
Mittags wird es Zeit für die kleine Bootstour und ich sehe Sirmione von allen Seiten, erkenne, dass ich bislang nur den Kern des Ortes für mich entdeckt habe.
Ich komme mit Hunger zurück und kann mich nicht entscheiden, mich in eine der winzig kleinen Restaurants zu setzen, jedes auf eine einzigartige Weise charmant und einladend. Ich, die ich normalerweise jede Entscheidung in wenigen Minuten treffen kann, laufe ziellos an all diesen kleinen Bars, Trattorien und Restaurants vorbei, sehe mir die - glücklicherweise nicht deutsch übersetzten - Karten an und ziehe doch jedesmal weiter.
Ein neues Stück ICH von mir.
Da ist niemand, mit dem ich beraten könnte, niemand, mit dem ich absprechen kann, wann wir wo einkehren.
Da bin nur ich mit meinem Hunger und all die vielen Angebote.
Ich beschließe, mich mit all meiner Unentschlossenheit zur Ruhe zu legen und schlafe tief und fest ein.
Nach dem Erwachen ergibt sich alles von selbst. Ich spaziere zu dieser winzig kleinen Bäckerei in der die Verkäuferin nur italienisch spricht und gemeinsam versuchen wir mit Händen und Füßen passende kleine Gebäckstücke für mich zu finden. Die kleine Tüte wird voller und voller und ich staune, dass ich am Ende nur 3,50 Euro für einen Fülle an Genuss zahle.
Mit meinem Gebäckschatz setze ich mich auf die Terrasse und lese und genieße jedes einzelne dieser köstlich schmeckenden kleinen Teilchen. Ich liebe sie, diese Teilchen und wie von selbst ergibt es sich, dass ich von nun an täglich zu dieser kleinen Bäckerei spazieren werde.
Wie von selbst ergibt es sich auch, dass ich nun hier sitze, an meinem französischen Balkon, das pulsierende Leben unten in der Gasse in mich aufnehme und angekommen bin.
Dafür bin ich dankbar!