Da stand er. Der Baum. Bis gerade eben. Es war so ziemlich der schönste Baum der letzten Jahre, wunderbar geschmückt von den Mädels - schöner,
als ich es in den Vorjahren je vermocht hätte.
Wir wurden dennoch nicht so recht warm miteinander. Der Baum und ich.
Oder gar Weihnachten und ich.
Nicht in diesem Jahr.
Ich erinnere mich gut an die Weihnachtstage meiner eigenen Kindheit, die verbunden waren mit knisternden Geheimnissen,
unsagbar leckeren Gerüchen, Schlüssellöchern, die mit Watte verstopft waren, damit meine neugierigen Kinderaugen auch ja nicht das
Christkind erspähen konnten.
Weihnachtliche Gesänge, raschelndes Papier, glühende Wangen.
Ich kann nicht festmachen, wann genau mir der Weihnachtszauber verloren ging. Vielleicht, als ich mich - pubertierend - nicht mehr "schick" anziehen
wollte für die Weihnachtstage. Als ich es leid war, Orgel spielen zu müssen, weil das von mir erwartet wurde. Als der Glaube an das Christkind abgelöst
wurde durch Zwänge und Termine, durch Kirchgänge, Spaziergänge, Gespräche, die mich langweilten.
Mir fehlte das Knisternde, Geheimnisvolle und der Glaube.
Mit den eigenen Kindern wurde Weihnachten dann wieder aufregend, spannend, geheimnisvoll. Neue Traditionen wurden geschaffen, alte abgelegt, wie
ungeliebte verschlissene Kleidung. Mit einem Male gab es wieder vor Aufregung gerötete Wangen, knisternde Geheimnisse, wunderbare Düfte.
Strahlende Kinderaugen, neue Lieder, neue Abläufe.
Und nun stand da dieser Baum. Inmitten des Esszimmers. Die Kinder groß, das Zauberhafte ein weiteres Mal verflogen, Unlust, sich in das Weihnachtsgefühl zu begeben, dem Weihnachtsgefühl zu ergeben oder hinzugeben?
Nachdenken über soziale Traditionen im Unglauben, Mitmachen, weil man es gewohnt ist, Schuldgefühle, weil die Eltern anderes erwarten.
Sie kam nicht, die Weihnachtslust. Nicht in diesem Jahr. Nicht bei entsprechender Musik, nicht am Heiligabend, nicht unter dem elegant geschmückten Baum.
Ich habe mich Weihnachten entfremdet und trauere dem naiven Weihnachtsglauben meiner Kindheit nach - wohlwissend, dass ein Zurückfinden kaum möglich sein wird.
Also haben wir uns getrennt. Der Baum und ich.
Soeben.
Es tut mir Leid um diesen Baum, um das Weihnachtsfest ohne Weihnachtsgefühle, um das verloren gegangene Knistern, um all die Geheimnisse, die ich einst
so geliebt habe.
Welch großes Glück, dass wir Weihnachten auch immer anderes zu feiern haben. In diesem Jahr sogar einen 18. Geburtstag. In aller Aufregung, mit aller Freude, in Hektik und Atemlosigkeit, Mädchenstress und minimaler Hysterie.
Wer braucht da schon einen Weihnachtsbaum?
Entfremdet wird nur, wer sich entfremden lässt. Vielleicht wird es Zeit, Weihnachten neu zu denken.
Für mich.
Und für den Baum, den armen, für den sowieso.
oh, irgendwie kommen mir diese deine Gedanken s e h r bekannt vor, ich denke all die ERwartungen die in uns gesetzt wurden, sich für andere nicht wie gewünscht erfüllten , vielleicht auch die eigene klitzekleine Enttäuschung darüber dass so vieles was man früher liebte, wie wegewischt ist, es keinen Ersatz dafür gibt - lässt uns einerseits aufatmen, andererseits etwas trauern.
zumindest geht es mir so...
ich habe mir längst angewöhnt, den hübsch erleuchteten Baum als weitere "romantische Lichtquelle" in dunklen langen Nächten zu betrachten.
das hat was...und hält - wetten - länger an als die Erinnerung an geheimnisvoll erwartete Weihnacht.
schön geschrieben....
lieben Gruß angelface
vom 08.03.2020, 10.48