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Diese Anleitung wurde in jüngster Zeit erprobt und führt zu unbedingtem Erfolg, wenn man sich exakt an die einzelnen Details hält. Bitte lassen Sie auch Kleinigkeiten, wie die Gesichtsmimik, nicht außer acht.
Gehen Sie - erstmalig - zu einem Infoabend in den neuen Kindergarten Ihrer Kinder. Erzählen Sie niemanden, wer Sie sind und auch keinesfalls was Sie beruflich machen. Lächeln Sie dezent und liebreizend jede Mutter und jeden Vater an, der Ihnen dort im Eingangsbereich begegnet und kommentieren Sie das Gedränge und Geschubse an der Tür mit: "Immer mit der Ruhe!" Ignorieren Sie in jedem Fall die hasserfüllten Blicke, die Sie nun von mehreren Seiten treffen.
Betreten Sie den ausgewählten Raum des Infoabends und nörgeln Sie ein wenig murmelnd vor sich hin, wenn Sie feststellen, dass trotz vorheriger schriftlicher Anmeldung Ihrerseits und der anderen Teilnehmer keinesfalls ausreichender Sitzplatz für selbige Teilnehmer zur Verfügung steht und Sie auf einer unbequemen Heizung Platz nehmen müssen.
Harren Sie, nett und unverbindlich lächelnd, der Dinge, die da kommen mögen. Vergewissern Sie sich kurz mittels Ihrer Einladung, dass es an diesem Abend um ein Matheprojekt des Kindergarten gehen wird und beantworten Sie die Frage Ihrer Ihnen unbekannten Sitznachbarin: "Wozu hasse denn die Einaldung mit?" mit den Worten "Aus Interesse!" Wundern Sie sich an diesem Punkt nicht über das alberne Gekicher Ihrer Sitznachbarin, sondern lächeln Sie weiter unverbindlich in die Runde.
Hören Sie sich im folgenden duldsam und still die Vorstellung des besagten Matheprojektes an. Nehmen Sie gelassen wahr, dass eine einzige Kindergärtnerin an einem Wochenendseminar geschult wurde, den gesamten Stoff des ersten Schuljahres nun in acht Wochen mit den Vier- bis Sechsjährigen Kindern des Kindergartens durchzuarbeiten.
Verkneifen Sie sich in jedem Fall Hustenanfälle, unpassende Lacher und kritische Ausrufe. Hören Sie einfach zu und rollen Sie höchstens mal dezent mit Ihren Augen, wenn die Entzückungsschreie der Miteltern in Ekstase geraten.
Schütteln Sie hin und wieder missbilligend den Kopf, wenn das vorgestellte (tausende von Euro kostende Material) so gänzlich didaktisch vom Ruder läuft, aber bewahren Sie Ruhe. Ignorieren Sie Ihren anschwellenden Hals und unterdrücken Ihre explosionsgefährdeten Gefühle.
Schauen Sie sich einfach an, was Ihre Kinder in den nächsten Wochen alles lernen werden. Nehmen Sie zur Kenntnis, dass es zunächst in die Zahlenhäuser gehen wird. Wundern Sie sich auf jeden Fall leise und nicht lautstark darüber, dass das Einserhaus von zehn Bewohnern bewohnt wird (Schwein, Kuh, Tannenzapfen etc.). Stellen Sie sich vor, wie dementsprechend das Zehner- bzw. gar das Zwanzigerhaus aussehen wird.
Rechnen Sie sich im Stillen den Platzbedarf aus, als Ihnen erklärt wird, dass es zu jedem Haus geometrische Figuren geben wird, die mit 50 cm langen Stöcken zusammen gesteckt werden. Rasten Sie nicht aus, wenn Sie entdecken, dass die "geometrische Figur" vor dem Einerhaus aus einem einfach dahin gelegten Stab besteht. Einem Stab mit zwei Enden, aber das wird selbstverständlich kein einziges Kind irritieren.
Betasten Sie, wie die anderen Eltern, Würfel, die mit Ziffern beklebt und anhand ihres Gewichtes unterschieden werden müssen bzw. können. Ignorieren Sie die euphorischen Ausrufe und sinnentleerten Kommentare einiger anderer Eltern und stellen Sie sich (nur im Stillen) die Frage, welcher Zusammenhang zwischen einer schweren Sechs und einer leichten Eins besteht. Fragen Sie sich unbedingt (und wieder im Stillen), wie Sie Ihrem Kind später vermitteln möchten, dass sechs Federn leichter sind als ein Goldbarren.
Werden Sie unbedingt ganz ruhig, als man Ihnen mitteilt, dass die Kinder auch direkt mit einem Zahlenstrahl arbeiten. Äußern Sie sich nicht dazu, dass man Ihnen vorführt, wie das Kind auf der Eins zu stehen hat, einen Schritt nach vorne geht, eins zählt und auf der Zwei landet. Stellen Sie fest, dass die Null fehlt, äußern Sie das aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Fangen Sie an mit Ihrer anderen Sitznachbarin, zufällig beste Freundin mit gleichem Berufsbild, heimlich zu tuscheln.
Betasten Sie Ihren anschwellenden Hals als es munter in der fehlerhaft komplizierten Didaktik weiter geht und Sie merken, dass die vorzustellende Dame nicht wirklich den Überblick zu haben scheint. Schlucken Sie einmal schwer, als Sie dann noch erfahren müssen, dass die Kinder auch direkt das Schreiben der Ziffern lernen, ohne Hilfestellung und "so wie Kinder das eben möchten".
Bislang mussten Sie sich relativ passiv verhalten. Am Ende des Vortrages jedoch beginnt langsam aber sicher Ihr Einsatz.
Auf die Frage: "Hat noch jemand eine Frage dazu!" halten Sie zunächst schnell Ihre uferlos rollenden Augen auf, als eine Mutter fragt: "Schaffen Sie das Programm denn bis zu den Sommerferien, dann kommt mein XXX doch zur Schule!" fragen Sie dann mal - ganz höflich - inwieweit das Zahlenlandprojekt auf die gängige Grundschulpraxis abgestimmt wurde? Quittieren Sie die Antwort: "Das weiß ich nicht!" mit einem gekonnten Hochziehen der Augenbrauen. Nun werden Sie höchstwahrscheinlich gefragt: "Sehen Sie da Probleme?" was Ihnen die Gelegenheit bietet, immer noch sehr freundlich, auf die Dinge hinzuweisen, die Sie als problematisch empfinden.
Nehmen Sie daraufhin nur leicht irritiert zur Kenntnis, dass ein aufbrausendes Gemurmel im Saal entsteht und die feindlichen Bicke der anderen Eltern Sie nun massiv attakieren. Beantworten Sie die hysterisch gestellte Frage einer Mutter: "Hast DU überhaupt schon Kinder in der Schule?" wahrheitsgemäß mit "Nein!" und lassen Sie sich dann belehren, dass in der Schule "sowas alles nicht gemacht wird!", "die Lehrer sich kein Stück kümmern", "nur in der Sonderschule mit so sinnreichem Material gearbeitet wird", "die Kinder in der Schule nur Arbeitsblätter heingeklatscht kriegen", "die Null in der Schule auch nicht wichtig ist", "und Du wohl noch nix von Pisa gehört hast".
Lasse die Aufruhr münden in dem von allen anderen bejubelten Satz: "Schaden kann datt unsern Kindern nix!" Gehen Sie in sich und bleiben Sie still. Halten Sie sich in jedem Fall zurück, überlassen Sie das weitere Argumentieren Ihrer besten Freundin und lächeln Sie wieder nichtssagend.
Fragen Sie eventuell noch einmal kurz nach, ob auch beabsichtigt ist die Rechenzeichen einzuführen und wundern Sie sich nicht als Sie erfahren, dass selbstverständlich mit Minus und Plus agiert wird, aber dass das ja nicht extra eingeführt werden muss.
Fangen Sie an die Minuten zu zählen, bis Sie hinaus dürfen. Lassen Sie sich noch schnell von einer Mutter belehren, dass sie sich bestens auskenne, da ihre Tochter schon im ersten Schuljahr sei und sie genau wüsste, dass die Kinder in der Schule nur Zahlen hingeklatscht bekämen. Machen Sie sich genau dann noch unbeleliebter durch die Frage:
"Auf welcher Schule ist denn Ihre Tochter?"
Die Antwort der Mutter: "Auf einer sehr guten!" müssen Sie jetzt unbedingt und unachtsamerweise mit "So gut kann die Schule nicht sein, wenn Sie den Kindern nur Arbeitsblätter hinklatscht!" quittieren.
Ich sage Ihnen, spätestens dann sind Sie die allerunbeliebteste Person des Raumes.
augenBloglich 06.02.2005, 08.15
Das ist eben KEIN Vorschulprogramm. Es nehmen alle Vier- bis Sechsjährigen Teil. Ich hatte überlegt, sie nicht teilnehmen zu lassen, aber das wäre für Lena echt blöd! Darum schaue ich, wie ich zuhause die Verwirrung auffangen kann.
Liebe Grüße
ich
Liebe Sonia,
genau DAS habe ich getan. Mit dem Ergebnis, dass jetzt ein Riesenplakat im Kindergartenfoyer hängt. Inhalt:
Die Kinder brauchen keine Null. Die Null ist negativ. Das ist der Keller.
...usw. usw.
Ich sag da nix mehr zu.
*ironie on* ich würde die 13 gerne aus der zahlenreihe streichen lassen... die ist für mich viel negativer als die 0. so manches mal kann man echt nur den kopf schütteln und das als "nur" mutter und nicht vom fach :o) liebe grüsse und gute nerven! andrea
vom 07.02.2005, 20.08