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Ausreinigung
Nachdem mein inneres Strahlen und Befreitsein einfach nicht seinen Weg durch meine Körpermassen nach außen findet, war ich es Leid.
Heute also sollte eine werte Kosmetikerin mein Gesicht zum Strahlen bringen.
Ich lag in einem Zwischending zwischen Sessel und Liege.
Während die Liegefläche meines Hinterteils hydraulisch nach unten fuhr, zog es meine Beine in die Höhe, den Kopf in den Nacken.
Ich kam mir vor wie beim Physiotherapeuten meines Vertrauens (der übrigens erkrankt ist, wobei ich jegliche Schuld von mir weise).
Grelles, blendendes Licht wurde eingeschaltet und mir tat die Dame sehr Leid, die nun durch eine Lupe in meine Gesichtskrater starren musste.
"Sie haben sehr problematische Haut!", wurde mir erklärt und ich korrigierte die Fachfrau nicht und wies auch nicht darauf hin, dass meine Haut mein geringstes Lebensproblem ist.
"Sicherlich pflegen Sie die Haut gut und intensiv", nahm die Dame an und ich antwortete wahrheitsgemäß mit:
"Nein!"
"Oh!"
"Ja!"
Während dieser interessanten Konversation wurde mir etwas ins Gesicht geschmiert.
"Arbeiten Sie denn mit Meeresschlamm?", wurde ich gefragt und vor meinen Augen sah ich die Schule, das Lehrerzimmer, die Kinder, die Kollegen.....
"Nein!
"Oh!"
"Ja!"
Selbiger Schlamm befand sich aber nun in meinem problematisch behäuteten Gesicht, was dazu führte, dass ich beim Sprechen kaum den Mund bewegen konnte aufgrund eines Gefühls des Einzementiertseins.
"Ihr Äderchen platzen laufend, ich nehme an, Sie ernähren sich gesund, um das zu verhindern?", setzte die Dame das Gespräch fort.
"Nein!"
"Oh!"
"Ja!"
Anderseits lag auf meiner Pizza neulich in der Tat auch Paprika. Man kann also nicht sagen, dass ich gänzlich ohne Gemüse auskäme.
Gut, man musste die dicke Käseschicht beiseite schieben, um die Paprika zu entdecken, aber es zählt ja, was im Magen ankommt, also an beinahe Vitaminen jetzt.
Ich verkniff mir meinen Hinweis auf die Pizza, da nun der Wachs kam.
Wachs im Gesicht ist ungefähr so schön wie eine immer noch nicht reparierte Spülmaschine, wobei der Vergleich stark hinkt, denn die Spülmaschine wird mir nicht mit einem Ruck aus dem Gesicht gerissen, so dass ich nahezu vor Schreck fast ins Koma falle.
"Sie wachsen selber?"
"Nein!"
"Oh!"
"Ja!"
Natürlich wachse ich nicht selber. Bei meinem Geschick blieben nicht nur die kleinen Härchen, sondern direkt die ganze Gesichtshaut an dem Wachs hängen. Ich kann mir die elende Schweinerei im Bad schon gut vorstellen.
Nein, nein, ich zahle lieber für die Schmerzen.
Ich verlor relativ schnell den Überblick über all das, was mir da nacheinander, nebeneinander und wahrscheinlich übereinander ins Gesicht gesalbt wurde und merkte erst wieder auf, als das Wort "Ausreinigung" fiel.
"Wir können bei Ihnen nicht mit Dampf arbeiten, wegen der sehr empfindlichen, problematischen Haut und dem Äderchenproblem. Es kann also sehr schmerzhaft werden!"
Da es mir ein wenig bis sehr unangenehm gewesen wäre, beim Ausdrücken sämtlicher Mitesser auf meiner Nase, den Wellnessbereich zusammenzuschreien, ertrug ich den Schmerz tapfer. Ich wünschte mir nur hin und wieder so eine PDA Pipeline, wie ich sie bei der Geburt des zweiten Kindes liegen hatte.
Per Tastendruck schoss damals irgendwas durch meinen Körper, das die Schmerzen hemmen sollte.
Hätte es gewirkt, hätte ich so etwas da heute brauchen können.
Meine Nase schien ein einziger, nicht enden wollender Mitesser zu sein.
"Nutzen Sie ein Gesichtspeeling?"
"Nein!"
"Oh!"
"Ja!"
Im Grunde ist es ja auch nicht schön, den Schmonz anderer Menschen aus deren Gesichtern drücken zu müssen. Aber ich litt schließlich auch.
Ich bin auch ziemlich froh, dass mich niemand sah (also außer der Kosmetikerin jetzt), da mir so ein Netz über mein wallendes Haupthaar gestülpt wurde.
Mit dem Netz auf dem Kopf, den Hintern in der Tiefe, den Beinen oberhalb des Körperäquators, Meeresschlamm im Gesicht und die Augenpads nicht zu vergessen, muss ich ein wahrhaft prachtvoller Anblick gewesen sein.
Ich machte mir kurzzeitig Sorgen darüber, ob die Fachfrau - immerhin ein junges Mädel und sicher in den sozialen Netzwerken aktiv - mich wohl heimlich fotografiert und mein Konterfei demnächst auf Facebook zum Lachen freigeben würde.
Gut, aber unter der dicken Schlammschicht würde man mich vermutlich ohnehin nicht erkennen.
An mir wurde gezupft, gerieben, gequetscht.
Gesalbt, abgewaschen, gezwickt, gerubbelt und geblubbert.
Jawohl, geblubbert.
Denn im Rücken, ach, das erwähnte ich ja noch gar nicht, blubberten Meeresalgen vor sich hin.
Ich kam mir vor wie bei einem Tauchgang im roten Meer.
Nur, dass man mir da nicht schwarze Haare vom Kinn gezupft hatte.
"Gegen die Schlupflider schminken Sie an?", fragte mich da die junge Dame und in mir regte sich Empörung.
Platzende Äderchen, problematische Haut und nun noch Schlupflider. Nicht zu fassen, hatten die hier noch nie etwas von positiver Verstärkung gehört?
Hätte sie nicht wenigstens sagen können: "Ihre Schlupflider stehen Ihnen vorzüglich und fügen sich harmonisch ins problematische Gesamtbild der Haut ein!"
Zwischen Schlamm und Pinzetten ächzte ich ein: "NEIN!"
"Oh!"
"Ja!"
Mittlerweile hatte sich unsere Gesprächsstruktur eingespielt.
Ich lag ergeben da, überlegte schon, wie ich möglichst elegant mit dem tiefergelegten Gesäß aufstehen könnte und machte mundmotorische Übungen, um den Gesichtsschlamm schon ein wenig bröseln zu lassen.
"Haben Sie Gesichtscreme für die reifere Haut zu Hause?"
Wozu? Dazu bräuchte ich ja ersteinmal reife Haut. Das dachte ich natürlich nur und verfiel wieder in unseren Rhythmus:
"Nein!"
"Oh!"
"Ja!"
Der Rest der Konversation ging an mir vorbei, weil ich einfach nur dalag und mir ausmalte, wie strahlend schön meine Gesichtshaut gleich aussehen würde.
Venusgleich würde ich davonschweben, mir reiner, zarter Pfirsichhaut.
Man kann sich irren.
Die Hydraulik hatte mich gnädigerweise nach dem Ende der Prozedur in die Horizontale verlegt und ich rollte mich mehr oder minder elegant von der Liege.
Natürlich eilte ich zum Spiegel.
Moment mal!
Da musste jemand was ausgetauscht haben. Spiegeltechnisch jetzt.
Ich sah in eine verquetschtes, rot aufgedunsenes Gesicht.
Also in MEIN zerquetschtes, rotes, aufgedunsenes Gesicht.
"Ähm, geht das wieder weg?", wollte ich panisch wissen.
"Nein, heut noch nicht, in den nächsten Tagen sicher!"
"Oh", keuchte ich.
"Ja!", anwortete die Fachfrau.
Ich probier es vielleicht doch mit ein wenig Gemüse. Scheint mir günstiger, weniger schmerzhaft und ohne den Anschein zu erwecken, in eine Prügelei geraten zu sein.
Das nächste Mal lass ich mir noch Mais auf die Pizza legen.
Das beeindruckt meine Gesichtsadern sicher.
Ganz sicher.
ich kringle mich mit; - und wenn sich meine Magennerven und mein Bauch wieder beruhigt hat, ich wieder gerade aus den Augen gucken kann ohne fast schon schmerzhaft mein Gesicht zu verziehen kann ich behaupten: jetzt ist der Lachanfall zu Ende...
k ö s t l i c h - wunderbar - welch eine Sprache...! Idee und Situation, man hätt Mäuschen dabei spielen mögen, die Arme die sich an dir abarbeiten musste (lang/lang ist`s her, aber immer wieder erfrischend und köstlich zu lesen...
irre ich mich, oder wurde jetzt aktuell schon länger nichts mehr eingestellt?
auf jeden fall bist du in meiner Liste - damit ich jederzeit auf dich ...ähm..deine Texte zugreifen kann um mich zu erfreuen....
ja, ein Buch darüber das müsst echt her...
freundlich nette Grüße angelface....
vom 15.12.2019, 11.17